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Jonathan Spector - Die Nebenwirkungen - Burgtheater

In der Eureka Schule in Kalifornien will man alles besser machen: Personalpronomen werden aus dem aktiven Sprachgebrauch gestrichen, um niemanden auszugrenzen, für den geschlechterneutralen Umbau der Toiletten werden regionale Baustoffe verwendet, und der Elternrat ist nur einstimmig beschlussfähig - man will es allen recht machen.

 

Dass es mit dem Konsens nicht so einfach ist, zeigt sich spätestens, als unter den Kindern der Schule die sehr ansteckende Krankheit Mumps ausbricht. Nicht alle Kinder sind geimpft. Unter den Eltern gibt es vehemente Impfgegner, und der Elternrat steht vor der Frage, wie es mit der Schule weitergehen soll: Wird sie geschlossen? Sollen nur geimpfte Kinder am Unterricht teilnehmen können?

 

Zur Klärung werden per Videokonferenz alle Eltern hinzugezogen, sicherlich der komödiantische Höhepunkt des Abends. Man sieht die im Alter etwas fortgeschrittenen, aber im Computerzeitalter etwas unterbemittelten Mitglieder des Elternrats ungeübt mit der Technik hantieren, während im Chat die Wogen hochgehen. Da ist vom Zuschauer Multitasking gefragt, und meistens gewinnen die sensationell komischen Chatnachrichten, an die Wand projiziert, den Kampf um Aufmerksamkeit. Dafür reicht sogar schon das originell eingesetzte „Daumen hoch“ – Emoji einer Chatteilnehmerin. Die Argumente kennen wir nur allzu gut aus der Debatte zur Corona – Impfung und auch diverse Videocall – Pannen erinnern an Homeoffice und Distancelearning. Bemerkenswert ist, dass Jonathan Spector all dies im Jahr 2018 vorausgeahnt hat.

 

Eine Stärke des Stücks ist definitiv, dass Komik und Tragik so nah beieinander liegen: Ein Kind liegt inzwischen mit einem schweren Krankheitsverlauf auf der Intensivstation und kämpft um sein Leben.

 

Impfgegnerin Suzanne (Regina Fritsch), die heimliche Chefin des Elternrats, kämpft dagegen weiter darum, dass Impfungen für die Teilnahme am Unterricht nicht verpflichtend werden. Sie vertraut der Schulmedizin nur, wenn es um In-vitro-Fertilisation geht. Impfungen gegenüber ist sie, gelinde gesagt, sehr skeptisch. In einem berührenden Monolog erfährt man den tragischen Hintergrund, der sie zu dieser Überzeugung gebracht hat. Der Perspektivenwechsel gelingt, eine Lösung scheint dadurch in noch weiterer Ferne.

 

Doch schließlich entscheiden wieder einmal Geld und eine einfache demokratische Mehrheit. Diese Lösung ist nicht ideal, aber die beste, die wir haben – das ewige Grundproblem der Demokratie. Es geht nun einmal nicht, ohne jemanden zurückzulassen. Unabhängigkeit ist und bleibt eine Illusion.

 

Die Inszenierung von Jan Philipp Gloger ist naturalistisch und changiert zwischen Komödie und Tragödie. Dazu kommt die hervorragende schauspielerische Leistung aller fünf Darsteller*innen. Markus Hering als Vorsitzender „Don“ nützt sein komödiantisches Talent bei jeder Gelegenheit, Regina Fritsch verkörpert überzeugend die machthungrige Verschwörungstheoretikerin und Impfgegnerin. Ihr stellt sich Neuzugang Carina (Zeynep Buyrac) mit Hausverstand und Vertrauen in die Wissenschaft entgegen. Emotional in die Debatte verstrickt sind May (Lilith Häßle), deren Tochter der erste Krankheitsfall an der Schule war, und Eli (Maximilian Pulst), dessen Sohn im Krankenhaus um sein Leben kämpft. Bei aller schauspielerischen Qualität hätte man sich allerdings bessere Verständlichkeit im akustisch schwierigen Burgtheater gewünscht. Und wenn der Abend teilweise Längen aufweist, liegt dies vor allem am nüchtern gehaltenen Raum mit schwarzer Tafelwand und zahllosen Kinderstühlen, in dem die sonst so naturalistische Inszenierung einen sehr kühlen Rahmen findet.

 

Fazit

„Die Nebenwirkungen“ ist eine gelungene Tragikomödie über nicht weniger als die Demokratie selbst und bietet zudem die Möglichkeit, aus sicherer Distanz die Corona-Debatten vergnüglich Revue passieren zu lassen.

 

Autorin: J.S.

 

FotoCredit: Matthias Horn

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